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Von Thomas Kammler

Der Fliegenpilz (Amanita muscaria) in der Medizin

Fliegenpilze im Wald

Wirkung, Anwendung und Kulturgeschichte des Fliegenpilzes

Im Spätherbst endet die Zeit, in der die Fliegenpilze mit ihren feuerroten Fruchtkörpern mit weißen Tupfen im Wald für farbliche Akzente sorgen. Aber woher hat der Fliegenpilz eigentlich seinen Namen? Er verweist auf seine Fliegen anlockende Wirkung: Kleingeschnitten und in gezuckerte Milch einlegt wurde der Fliegenpilz früher als Fliegenfalle verwendet. Das drückt sich auch in dem lateinischen Namensteil „muscaria“ aus, der Fliege bedeutet. Heutzutage geht man davon aus, dass die Fliegen jedoch nur kurzfristig betäubt werden. „Amanita“ geht vermutlich auf das Wort „Amanitai“ zurück, das sich auf ein Gebirge in der Südtürkei bezieht, wo eine Vielzahl von Pilzen wächst. In der Antike könnte der Begriff Amanitai allgemein für Pilze verwendet worden sein.

Fliegenpilz ist nicht gleich Fliegenpilz

Gerade in herbstlicher Dekoration macht der Fliegenpilz mit seinem roten Hut immer eine gute Figur. Was viele nicht wissen: Es gibt neben dem typischen Fliegenpilz (Amanita muscaria), rot mit weißen Tupfen, auch noch weitere Varietäten: var. aureola: ebenfalls rot, aber oftmals ohne Flocken auf dem Hut, var. formosa: orange mit wenigen gelblichen Tupfen. Außerdem gibt es Amanita regalis mit braunem Hut, der dem Pantherpilz fast ähnlicher ist, als dem Fliegenpilz und deshalb – im Gegensatz zu den oben genannten Varietäten – von manchen als eigene Art angesehen wird.

Die halluzinogene Wirkung des Fliegenpilzes

In einigen Kulturen wird der giftige Fliegenpilz zu Rauschzwecken verwendet: beim sogenannten „Pantherina-Syndrom“ stellen sich nach einer halben Stunde bis 3 Stunden nach Verzehr des Giftpilzes unter anderem Unruhe, Veränderung der Stimmung, Störungen des Gefühls von Zeit und Ort, Persönlichkeitsveränderungen und verschiedenartige halluzinogene Effekte bis hin zu handfesten Halluzinationen ein. Einen traditionellen schamanistischen Gebrauch des Fliegenpilzes als Halluzinogen kennt man beispielsweise von sibirischen Völkern.

Fliegenpilze als Glücksbringer

Weshalb gerade ein giftiger Pilz als Symbol für Glück gilt und das Symbol des sprichwörtlichen „Glückspilzes“ geworden ist, weiß man nicht. Möglicherweise kann es mit dem rauschhaften Glücksgefühl beim Verzehr des Pilzes zusammenhängen oder beispielsweise dem Umstand, dass in der Nähe von Fliegenpilzen oftmals auch andere Pilze wachsen, wie etwa der Steinpilz. Oder einfach, weil der Anblick dieses roten Farbflecks im Wald mit seinen weißen Pünktchen einen wirklich erfreut – genau wie der Anblick eines roten Marienkäfers mit seinen schwarzen Pünktchen, der ja das Symbol für einen Glückskäfer ist.

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Giftig, essbar oder beides: Kann man Fliegenpilze essen? 

Der Fliegenpilz ist der wahrscheinlich bekannteste Giftpilz hierzulande. Das liegt aber nicht an seiner außergewöhnlichen Giftigkeit. Verglichen mit dem sehr stark giftigen Knollenblätterpilz, der bereits in geringen Mengen tödlich sein kann, gilt der Fliegenpilz als vergleichsweise ungefährlich. Das liegt an den Mengen, die man essen müsste, um ernsthaft zu schaden zu kommen: Man schätzt, dass ca. 100 g Fliegenpilz-Trockenmasse bzw. 1 kg frischer Fliegenpilze (entspricht ca. 10 ganzen Pilzen) eine tödliche Wirkung bei einem gesunden Erwachsenen haben dürfte.

Auch ein Blick in die Geschichte gibt dazu Auskunft, denn früher wurde der Fliegenpilz in einigen Teilen Norddeutschlands sogar als Speisepilz genutzt. Damals entfernte man die rote Huthaut, schnitt den Pilz klein und weichte ihn einen Tag lang in Wasser ein, bevor man ihn briet. Da das meiste Fliegenpilzgift in der roten Huthaut steckt und wasserlöslich ist, konnte man auf diese Weise eine Vergiftung vermeiden.

Der Rote Fliegenpilz: Wie bei vielen Heilpflanzen auch macht die Dosis das Gift

Die Giftwirkung des Fliegenpilzes beim Menschen ist auf den Hauptwirkstoff Ibotensäure zurückzuführen. Besonders hohe Konzentrationen finden sich insbesondere in der roten Haut des Huts. Für die psychotrope Wirkung ist Muscimol verantwortlich, welches sich im natürlichen Zustand des Pilzes nicht finden lässt, aber beispielsweise, wenn der Pilz getrocknet wird. Zudem wird die Ibotensäure im Körper zu Muscimol umgewandelt. Weitere Wirkstoffe sind das namensgebende Muscarin und Muscazon.
Auch wenn der Fliegenpilz nicht ganz so giftig ist wie seine nahen Verwandten, der Knollenblätter- und Pantherpilz, sollte er dennoch am besten nur in sorgfältig aufgearbeiteter und verdünnter Form in Arzneimitteln angewendet werden.

Medizinische Verwendung in der Volksmedizin

Alkoholische Tinkturen aus Fliegenpilz wurden in einigen Regionen der Welt (z.B. Finnland) zur äußerlichen Behandlung von Stauchungen und Prellungen verwendet, innerlich bei Kopf- und Magenschmerzen sowie Erschöpfung. Auch Rheuma oder Gelenkerkrankungen werden in einigen Ländern wie Litauen äußerlich mit Einreibungen aus Fliegenpilz und Alkohol behandelt. In Russland verwendet man Fliegenpilz-Pulver zur Behandlung schlecht heilender Wunden.

Vergiftung: Keine Selbstversuche mit dem Fliegenpilz!

Nicht nur weil die enthaltenen Pilzgifte Leber und Nerven schädigen können: Auf gar keinen Fall sollte man Selbstversuche mit Fliegenpilzen machen, sondern sich einfach an seinem herbstlichen Aussehen zu erfreuen.

Quellenangaben & weiterführende Literatur

Bücher

  • René Flammer / Egon Horak: : Giftpilze – Pilzgifte. Pilzvergiftungen. Ein Nachschlagewerk für Ärzte, Apotheker, Biologen, Mykologen, Pilzexperten und Pilzsammler, Schwabe, Basel 2003*

Artikel

  • Scherbaum, N.: "Fliegenpilz (Amanita muscaria)" 2022*

Weblinks

*: Bei Literatur: Erscheinungsjahr; bei Webseiten: Datum des letzten Abrufs

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Homöopathie