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Von Thomas Kammler

Progressive Muskelentspannung: Wie durch Übung aus Anspannung Entspannung werden kann

Frau entsapnnt mit geschlossenen Augen auf Yoga Matte

Was kann die Methode, die Anspannen und Entspannen der Muskeln als Übung vermittelt?

Progressive Muskelentspannung ist neben Autogenem Training eine der besterforschten Entspannungstechniken. Aber was ist das überhaupt genau und wie ist die Methode entstanden? Durch fast 20 Jahre Forschung an der Harvard-Universität gelang es dem Arzt Edmund Jacobson einen Zusammenhang zwischen übermäßiger muskulöser Anspannung und verschiedenen physischen und seelischen Störungen herzustellen. 
Jacobson erkannte, dass Spannung und Anstrengung immer mit einer Verkürzung der Muskel-Fasern einhergehen und definierte Entspannung und innere Ruhe als das genaue Gegenteil von solch angespannten Zuständen. Hierfür beobachtete er den sogenannten Muskeltonus. Der Muskeltonus beschreibt den Grad der Spannung oder des Widerstands in einem Muskel im Ruhezustand. Er bezieht sich also darauf, wie fest oder schlaff ein Muskel in einem entspannten Zustand ist. Jacobson entdeckte, dass die Reduktion des Muskeltonus die Aktivität des Zentralen Nervensystems herabsetzt. Er folgerte daraus, dass Entspannung als universelles Heilmittel für psychosomatische Störungen geeignet ist und auch positive Effekte in der Vorbeugung zeigen kann - die Geburtsstunde der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson.

Progressive Muskelentspannung im Kurzportrait

Die Progressive Muskelentspannung (PME, auch Progressive Muskelrelaxation PMR genannt) ist also eine Entspannungstechnik, die entwickelt wurde, um Muskelverspannungen abzubauen und die Entspannung im gesamten Körper zu fördern. Heutzutage gilt sie neben Meditation, Yoga oder Autogenem Training als eine der beliebtesten Methoden zur Stress-Bewältigung und Entspannung weltweit. Die Muskelentspannung nach Jacobson basiert auf der Idee, dass bewusste körperliche Anspannung und anschließende Entspannung dazu beitragen können, psychische Spannungen und Stress abzubauen. Die Methode beinhaltet den Wechsel zwischen gezieltem An- und Entspannen einzelner Muskelgruppen in einer bestimmten Reihenfolge am ganzen Körper.

Welche Übungen werden bei der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson durchgeführt, um zu entspannen?

Eine kurze Anleitung für den Alltag:

Zur Vorbereitung suchen Sie sich einen ruhigen, bequemen Ort, an dem Sie sich entspannen können. Schließen Sie die Augen, achten Sie bewusst auf Ihre Atmung und nehmen Sie einige tiefe Atemzüge. Wichtig ist es, beim späteren Anspannen nicht die Luft anzuhalten.

Schritt 1, Muskelgruppen für kurze Zeit bewusst anspannen: Beginnen Sie in der Regel mit den Füßen und arbeiten Sie sich schrittweise am Körper nach oben. Konzentrieren Sie sich auf eine Muskelgruppe, z.B. die Zehen, und spannen Sie diese für etwa 5-10 Sekunden so fest wie möglich an. Spüren Sie die Spannung in diesem Bereich.

Schritt 2, Muskelgruppen entspannen: Lassen Sie die Anspannung nach den wenigen Sekunden plötzlich los und fühlen Sie, wie die Muskelgruppe sich entspannt. Konzentrieren Sie sich auf die positive Wirkung des Gefühls der Entspannung und Erleichterung.
Weiter zum nächsten Muskel: Wiederholen Sie diesen Vorgang der Muskelrelaxation für die verschiedenen Muskelgruppen im Körper, von den Füßen bis zum Kopf. Sie können sich auf Arme, Beine, Bauchmuskeln, Nacken und Gesicht konzentrieren.
Tiefenentspannung: Nachdem Sie alle Muskelgruppen angespannt und entspannt haben, nehmen Sie sich einige Minuten Zeit, um eine allgemeine Entspannung der Muskulatur im gesamten Körper zu erleben und den Zustand der tiefen Entspannung zu genießen.

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Für wen eignet sich Progressive Muskelentspannung nach Jacobson?

PME bzw. PMR wird oft in der Therapie zur Bewältigung von Stress und Angstzuständen sowie Schmerzen wie Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen eingesetzt. Auch bei Bluthochdruck und Schlafstörungen konnten gute Erfolge mit Progressiver Muskelrelaxation erzielt werden. Patienten* können sie selbst erlernen und das Entspannungsverfahren eigenständig praktizieren - es gibt aber zum Beispiel auch Kurse für Progressive Muskelentspannung an Volkshochschulen. Einige gesetzliche Krankenkassen übernehmen sogar ganz oder zumindest teilweise die Kosten für progressive Muskelentspannung. Darüber hinaus existiert eine ganze Reihe von Büchern zum Thema. Regelmäßige Übung und Lernen können dazu beitragen, die Fähigkeiten der Patienten zur Entspannung zu verbessern und die Auswirkungen von Gestresstheit zu reduzieren.

Weiterentwicklung der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson

Während Jacobson ursprünglich mit 30 einzelnen Muskelpartien arbeitete, wurden später im Laufe von Forschung auch kürzere und damit praktikablere Versionen entwickelt. Bernstein und Borkovec beginnen beispielsweise beginnen mit 16 Muskelgruppen, die dann zunehmend weiter reduziert werden können, sobald man über genügend Übung verfügt.

Die Reihenfolge der genannten 16 Muskelgruppen:

•    dominante Hand und Unterarm (beim Rechtshänder also die rechte Hand und der rechte Unterarm)
•    dominanter Oberarm
•    nicht-dominante Hand und Unterarm
•    nicht-dominanter Oberarm
•    Stirn
•    obere Wangenpartie und Nase
•    untere Wangenpartie und Kiefer
•    Nacken und Hals
•    Brust, Schultern und obere Rückenpartie
•    Bauchmuskulatur
•    dominanter Oberschenkel 
•    dominanter Unterschenkel 
•    dominanter Fuß 
•    nicht-dominanter Oberschenkel 
•    nicht-dominanter Unterschenkel 
•    nicht-dominanter Fuß

Um die Übung noch weiter zu vereinfachen und zeitlich zu straffen, können auch 5 größere Bereich zusammengefasst werden:

•    Hände und Arme
•    Gesicht
•    Hals, Nacken, Schultern
•    Bauch und Rücken; 
•    Po, Beine und Füße

Welche Ziele hat die Progressive Muskelentspannung?

Zunächst geht es um Selbstaufmerksamkeit und bessere Selbstwahrnehmung des Körpers (Spüren der Muskeln, Wahrnehmung von Wärme und Schwere) und möglicher psychischer Anspannung (wann fange ich an angespannt zu sein und wie wirkt sich das auf mein Seelenleben aus?). Dies trägt dazu bei, willentlich und gesteuert Anspannung zu lösen und ein Sich-gestresst-Fühlen zu reduzieren. PME kann aber auch als Gesundheitsfürsorge im Sinne einer Vorbeugung und zur Steigerung der Lebensqualität verstanden werden. Auch bei bereits bestehenden Erkrankungen kann PME die Milderung von Symptomen sowie das Verlangsamen oder sogar Aufhalten des weiteren Voranschreitens einer solchen Erkrankung.

Ist die Wirkung der Muskelentspannung wissenschaftlich nachgewiesen?

Ja, die Methode ist hinsichtlich ihrer Effektivität sehr gut erforscht. Es existieren weit mehr als 60 kontrollierte Studien und eine Übersichtsarbeit darüber resümiert, dass das Entspannungsverfahren breite Anwendungsmöglichkeiten aufweist - keineswegs nur bei Stress. Nicht verwunderlich also, dass Progressive Muskelrelaxation häufig Teil von verhaltenstherapeutischen Therapieprogrammen ist.

ZU angespannt, um zu entspannen?

Gutgemeinte Hinweise für Stress-Geplagte auf Entspannungstechniken sind allerdings häufig nur wenig zielführend. Der Grund: Betroffene sind oft zu aufgekratzt oder gehetzt, um solche Maßnahmen überhaupt anzugehen oder sie für den gewünschten Erfolg lange genug durchzuführen. Darüber hinaus können sie sich noch mehr unter Druck gesetzt fühlen. Pflanzliche Beruhigungsmittel können hier Unterstützung dabei bieten, aus dem Hamsterrad herauszutreten. Mit einer gewissen Grundruhe kann es so besser möglich werden, Entspannungstechniken zu erlernen und nachhaltig zu praktizieren.

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* Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulinum verwendet. Gemeint sind jedoch immer alle Geschlechter.

Quellenangaben & weiterführende Literatur

Weblinks

*: Bei Literatur: Erscheinungsjahr; bei Webseiten: Datum des letzten Abrufs

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