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Konstitutionsmedizin: Ursprünge, Bedeutung und moderne Therapieempfehlungen

Konstitutionsmedizin

Wenn man ein Haus bauen will, fängt man logischerweise nicht etwa mit den tragenden Wänden oder mit dem Dachstuhl an, auch wenn beide für ein stabiles Gebäude unerlässlich sind. Zuerst muss natürlich der Grundstein gelegt werden, um eine Basis zu haben für das Errichten des Hauses. Genauso verhält es sich in der Naturmedizin: Zunächst muss mittels Basistherapien das Fundament errichtet werden, auf dem dann spezielle Erkrankungen erfolgreich behandelt werden können. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Konstitution.

Konstitution – was ist das?

Von „schwacher Konstitution“ oder von Konstitutionstherapie hat sicherlich der eine oder andere schon einmal etwas gehört, aber was genau verbirgt sich dahinter? Einen guten Anhaltspunkt bietet die Wortbedeutung, die schon einiges aussagt: „Konstitution“ kommt vom lateinischen Wort „constituere“ für festsetzen. Gemeint ist dabei die individuelle Ganzheit des einzelnen Menschen.

Sie umfasst die in der Erbanlage begründete und unter Einbeziehung von Umweltfaktoren verwirklichte Gesamtverfassung des Organismus. Wir sprechen also über das genetische Konzept eines Menschen mit all seinen Stärken und Schwächen. Konstitution ist also überwiegend ererbt, teilweise aber auch in Wechselwirkung mit der Umwelt erworben.

Weshalb ist die Konstitution so bedeutend für die Behandlung von Krankheiten?

Mit der Konstitution hängen auch Reaktionsweisen des Körpers zusammen, etwa die Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten oder für deren Häufigkeit. Deshalb ist die Konstitutionsmedizin auch ein Grundprinzip in der Behandlung geworden. Das Paradebeispiel ist das des blonden, hellhäutigen und blauäugigen Kindes. Wie viele Eltern solcher Kinder wissen, haben sie eine stark ausgeprägte Neigung zu Infekten, sind meist noch häufiger erkältet als andere Kinder erkältet und husten sich oftmals von Infekt zu Infekt.

Einzelbeobachtungen oder steckt da tatsächlich System dahinter?

In der Naturheilkunde spricht man bei Menschen mit solchen Merkmalen von sogenannten Lymphatikern. Wie der Begriff schon vermuten lässt, steht hier der Zusammenhang mit dem Lymphsystem im Vordergrund. Allerdings darf man die Anlagen nicht als eine Art Krankheitsschicksal begreifen. Diese Veranlagungen sind eher wie „Schwachstellen“ anzusehen – sie können, müssen aber nicht zu einer bestimmten Erkrankung führen. Ausschlaggebend sind beispielsweise auch Umweltfaktoren, Stress und vieles mehr. Die Reaktionsfähigkeit des Einzelnen auf die verschiedenen Einflüsse ist individuell sehr unterschiedlich. So reagieren manche Menschen schon auf schwache Reize mit Unwohlsein während andere diese noch gut abfangen können. Der eine hat also auf diesen Reiz bezogen eine gute, der andere eine weniger gute Konstitution. Bei Lymphatikern ist das Lymphsystem die „Schwachstelle“ – das bedeutet, dass sie besonders zu Infekten neigen.

Eine Erfindung der Moderne?

Der Versuch, einen Zusammenhang zwischen Erbanlagen, körperinneren Abläufen, Umweltfaktoren und dem Ausprägen von bestimmten Erkrankungen zu sehen, ist keine Erfindung der Moderne. Schon die großen Gelehrten des Altertums wie Hippokrates oder Galen haben solche Zusammenhänge beobachtet. Sie führten sie auf das Vorherrschen bestimmter Körpersäfte zurück und versuchten, die Menschen dahingehend in Gruppen einzuteilen. Darauf basiert die Einteilung von Temperamenten, die wir auch heute noch gebrauchen: Sanguiniker, Phlegmatiker, Melancholiker und Choleriker. Der vorherrschende Körpersaft des Sanguinikers ist das Blut. Dadurch ist er kraftvoll, energiereich und aktiv. Sanguiniker sind relativ heitere Menschen, nicht besonders nachtragend und eher optimistisch, dafür oft ein wenig oberflächlich. Ganz anders der Phlegmatiker. Er ist nach der alten Säftelehre durch ein Überwiegen von Schleim geprägt. Phlegmatiker gelten eher als träge, unflexibel, antriebslos, zurückgezogen, aber emotional stabil. Melancholiker werden nach der Säftelehre von der schwarzen Galle beherrscht. Das führt zu negativem Denken, ständigem Grübeln, Pessimismus, Resignation und psychischer Instabilität. Der Choleriker hat zu viel Galle, die ihm sprichwörtlich oft überläuft: Er ist eher extrovertiert, neigt zu übertriebenen Reaktionen, häufigen Wut- und Gefühlsausbrüchen. Er ist leicht reizbar und selten zufrieden.

Welche weiteren Wege beschritten wurden, um Konstitutionstypen voneinander abzugrenzen, warum es sich dabei keineswegs um verstaubtes Bücherwissen handelt und wie die Konstitution aktuelle Behandlungsempfehlungen beeinflussen kann, lesen Sie im nun folgenden 2. Teil dieses Artikels.

Auch die Einteilung nach der Körperstatur ist bei konstitutionsmedizinischen Überlegungen üblich. Hier bestehen enge Beziehungen zwischen Körperbau und verschiedenen Eigenschaften und Schwachstellen. Man kennt beispielsweise die Einteilung in sogenannte Pykniker, Athleten und Leptosome.

Aber ist das nicht verstaubtes Bücherwissen oder kann man diesen Konstitutionstypen auch in der täglichen Praxis begegnen?

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Jeder Praktiker, der sein Auge darauf richtet, erkennt diese Typologien in seinen Patienten wieder und berücksichtigt sie in den Behandlungsempfehlungen. Pykniker sind eher mittelgroß und gedrungen. Sie neigen dazu, leicht Fett anzusetzen, haben oft einen kurzen Hals und ein relativ breites Gesicht. Athletische Typen hingegen sind kräftig gebaut, haben meist breite Schultern und einen breiten oberen Brustkorb. Leptosome, auch Astheniker genannt, sind eher zart und schmal, mit schlanken Gliedmaßen und flachem Brustkorb. Sie gelten oft als wenig belastbar.

Schau mir in die Augen

Wie wir von den bereits angesprochenen Lymphatikern wissen, spielt auch die Augenfarbe eine Rolle und eignet sich zur Typeneinteilung, zusammen mit weiteren Informationen, die man der Beschaffenheit des Auges entnehmen kann. Konstitutionstypen lassen sich auch über diese Betrachtung der Iris, also der farbigen Regenbogenhaut des Auges feststellen. Naturheilkundler können unter Einbeziehung der Farbe und Struktur der Iris verschiedene Konstitutionstypen erkennen.

Iris-Typen lassen sich grob in 3 Gruppen einteilen

  • Die blaue Iris der Lymphatiker ist assoziiert mit heller, empfindlicher Haut, blonden bzw. rotblonden Haaren. Sie haben eine Neigung zu empfindlichen Schleimhäuten und einer Empfindlichkeit des Nervensystems. Mitteleuropäer vom lymphatischen Konstitutionstyp neigen zu immer wieder kehrenden Infekten im HNO- und Harnwegsbereich. Oft besteht schon im Säuglingsalter eine Neigung zu Hautreaktionen wie Milchschorf, in späteren Jahren dann etwa zu Neurodermitis. Konstitutionsmedizin heißt: Schwachstellen stärken. Wenn Lymphe die Schwachstelle ist, dann sind homöopathische Lymphmittel eine gute Wahl.
  • Eine braune Iris wird der hämatogenen Konstitution zugeordnet: dunklere Haut, braune resp. schwarze Haare und eben dunkle Augen. Bei diesen Menschen gibt es häufig Probleme mit den Verdauungsorganen, insbesondere Leber/Galle, aber auch die Venen machen ihnen oft zu schaffen. Sie können von Bitterstoffen, Leber- und Durchblutungsmitteln profitieren.
  • Als drittes tritt häufig eine Art Mischform auf mit grau-grünlich-bräunlichen Iriden, dunklen Haaren und heller Haut. Sie neigen beispielsweise zu unreiner Haut mit Pigmentflecken.

Ist das denn heute noch aktuell? Kann man von einer „modernen Konstitutionslehre“ sprechen?

Ja, durchaus! Dem Wiener Frauenarzt Dr. Bernhard Aschner ist es zu verdanken, dass dieses Wissen der Gelehrten des Altertums und des Mittelalters den Einzug in die moderne Medizin gehalten hat. Aschner lebte von 1883 bis 1960 und zeigte, dass Heilerfolge umso größer werden, wenn Patienten individuell behandelt werden: magere Personen anders als Pykniker, cholerische anders als melancholische, blonde anders als mediterrane.

Heute nutzen Konstitutionsmediziner verschiedene Kriterien dazu, den Konstitutionstyp eines Menschen zu ermitteln: Charaktereigenschaften, die wieder auf die Sanguiniker, Phlegmatiker, Melancholiker und Choleriker verweisen, die Statur des Patienten, seine  Haar- und Augenfarbe oder etwa die Struktur der Iris, die mit Hilfe einer Lupe oder noch besser eines Iris-Mikroskops sichtbar wird und viele Anhaltspunkte liefern kann.

Was bedeutet das dann auf praktischer Ebene für Behandler und Patient?

Wenn der Konstitutionstyp feststeht, kann die Behandlung von Beschwerden sinnvoll unterstützt werden, zum Beispiel durch ein homöopathisches Konstitutionsmittel oder auch andere Maßnahmen zur Unterstützung der Konstitution, insbesondere Ausleitungsverfahren oder eine typgerechte Ernährung. Der naturheilkundliche Arzt und Heilpraktiker nutzt also naturheilkundliche Untersuchungen wie Antlitzdiagnose, Zungendiagnose, Puls, Untersuchung des Stuhls und der Körperflüssigkeiten. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse fließen mit in seine Anamnese, also die Erhebung der Krankengeschichte des Patienten, ein. Kurz gesagt geht es im Grunde genommen darum, Schwächen des Körpers zu schwächen und Stärken zu stärken.

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